„Kannst du für mich nach Mpumalanga fliegen? Es ist mir nicht möglich die Acacia Tree Game Lodge für ein Bewerbungsgespräch zu verlassen und ausserdem fehlt mir das Geld.“ Deborah war Feuer und Flamme nachdem sie über einen ihrer Freunde von Henry, einem ehemaligen Südafrikanischen Filmemacher gehört hatte, der ihr möglicherweise einen Job im Marketing für seine Lodge anbieten konnte. Sie wollte so rasch wie möglich die Acacia Tree Game Lodge verlassen, nach all dem, was im letzten Monat passiert war. Henry besass eine luxuriöse Privatlodge in Mitten des Greater Kurger National Parks sowie weitere Besitztümer in Nelspruit und Mozambique.
„Denkst du, das funktioniert, wenn du nicht selber gehst?“ Ich war skeptisch. „Es muss funktionieren. Du kannst ihm erklären, warum ich nicht selbst vorsprechen kann. Mit deiner Erfahrung im Marketing und Management kannst du als meine Mentorin auftreten. Ausserdem kannst du mir eine gute Referenz aus unserer Zusammenarbeit auf der Acacia Tree Game Lodge geben,“ fügte sie hinzu. Sie war völlig aufgedreht und schaute mich mit bittenden Augen an. „Das waren nur zwei Wochen Zusammenarbeit und unter ausserordentlichen Umständen,“ bemerkte ich trocken. Trotzdem wollte ich ihr helfen und mein Bestes versuchen, um ihr einen Neustart in Südafrika zu ermöglichen. Ich erarbeitete einen Entwurf für einen Marketingplan gemeinsam mit Deborah, welches ich Henry vorstellen würde.
Deborah hatte als Marketing-Assistentin in England gearbeitet. Sie würde dieses ausarbeiten, sobald sie bei ihm anfangen würde, wobei ich sie nach Bedarf unterstützen konnte. Hoffentlich würde er darauf eingehen und Deborah die Chance eröffnen. Henry offerierte mir kurzfristig einen Termin am nachfolgenden Wochenende, da er anschliessend für mehrere Wochen unabkömmlich sei. Ich buchte sogleich einen Flug nach Nelspruit. Glücklicherweise konnte ich Vlou während meiner Abwesenheit in die Obhut von Deborah und Alan geben. Vlou war glücklich seine Hundefreundin Sally auf der Acacia Tree Game Lodge wiederzusehen.
Früh morgens hob der Flieger ab nach Johannesburg mit Anschlussflug nach Nelspruit. Das Ticket war ein günstiges Angebot, was zum Nachteil hatte, dass ich sieben Stunden Zwischenhalt in Johannesburg verbringen musste. Sofort nach Ankunft in Nelspruit entdeckte ich einen grossgewachsenen, sportlichen Herrn mit rotem Pullover. Henry hatte mich auch sofort erkannt und begrüsste mich herzlich wie eine Altbekannte, obwohl wir uns noch nie gesehen hatten. Nach einer kurzen Fahrt erreichten wir seine Villa. Sie lag auf einem Felsen mit Aussicht über das fruchtbare Tal. „Früher ist es eine Farm gewesen. Ich habe es dann etwas umgestaltet,“ erklärte er verschmitzt und zeigte mir das gepflegte Anwesen mit Tennisplatz, Gästehäusern und zahlreichen hochgewachsenen Bäumen. Als wir zum Haupthaus liefen, kam uns Henry’s Frau Kate entgegen. Auch sie begrüsste mich herzlich und offerierte mir sofort einen Tee. Sie war ursprünglich Engländerin, was im Dekor der Villa wiederzuerkennen war.
„Du kannst im Gästehaus schlafen. Komm, ich helfe dir mit deiner Tasche,“ bot Henry an. Das Gästehaus war geräumig mit zwei separaten Schlafzimmern, Küche und Wohnzimmer. Die Bäume ringsherum spendeten Schatten, so dass es angenehm kühl war. „Erhol dich ein wenig. Wenn’s dir recht ist, laden wir dich heute Abend zum Sushi essen ein.“ Er wartete keine Antwort ab und lief schon in Richtung Haupthaus als er mir über die Schulter zurief: „Sieben Uhr, heute Abend, ok?“ „Ja, gerne,“ erwiderte ich erfreut.“
Am nächsten Morgen wunderte ich mich beim gemeinsamen Frühstückstee mit Kate, dass Henry nicht da war. „Er ist ein Frühaufsteher. Er trainiert für ein Fahrradrennen und macht heute morgen ein Training von 130 Kilometer, bevor wir mit dem Flugzeug zur Lodge fliegen.“ „Mit dem Flugzeug!“ rief ich überrascht aus. „Ja, wir haben ein kleines Privatflugzeug, da sich Henry als Dokumentarfilmer eines hatte anschaffen müssen, um sein Filmmaterial in nützlicher Frist ins Okavango Delta einfliegen zu können. Es ist zwar bereits recht alt, aber tut seinen Dienst immer noch ausgezeichnet.“ Ich war sehr gespannt auf den Flug, da ich das Fliegen in kleinen Flugzeugen liebe!
Der Hangar befand sich etwas ausserhalb von Nelspruit auf einer Farm mit einer kurzen, leicht abfallenden Weide, die als Start- und Landebahn diente. Henry’s sechsplätzige Cessna hatte schon bessere Zeiten gesehen. Kleine Löcher verbreitet über die gesamte Windschutzscheibe verschlechterten die Sicht des Piloten und auch sonst sah das Flugzeug aus, als könnte es eine Überholung gebrauchen. Henry versicherte mir, dass das Flugzeug zwar alt sei, aber technisch in Ordnung.
Das Flugzeug startete mit ohrenbetäubendem Geräusch und stabilisierte sich in der Luft in Richtung Norden, sobald die Flughöhe erreicht worden war. Langsam zogen die Felder und Fichtenplantagen unter uns vorbei, um anschliessend bevölkerten Gebieten platz zu machen. Nach rund einer Stunde flogen wir über den Kruger National Park. Ich sah einige luxuriöse Lodges mit ihren privaten Landebahnen und stellte mir vor, wie die Gäste dort wohl verwöhnt wurden.
„Dort ist unsere Landebahn,“ rief Henry mir kurz darauf über die Schulter zu. Ich sah einen abgelegenen Landestreifen ohne Zivilisation weit und breit. „Die Lodge ist rund eine halbe Stunde fahrt von der Landebahn entfernt, sofern das Terrain gut ist. Sonst wird die Fahrt etwas länger dauern,“ fügte er lachend hinzu. Kurz bevor wir aufsetzten rannten vier Warzenscheine über die Landepiste. Sie verschwanden rasch in die Büsche. Henry liess das Flugzeug bis zum Ende der Piste ausrollen und parkierte es am Rande. Wir stiegen aus und hörten bereits den Land Cruiser der Lodge, der uns abholen kam.
„Hi, Eduard, wie geht’s dir?“ rief Henry seinem Angestellten zu, der ihm etwas schüchtern entgegenlief. Er war junger, baumlanger Mann, schätzungsweise 22 Jahre alt, welcher gerade sein Studium in Umweltwissenschaften abgeschlossen hatte und seine ersten Erfahrungen als Lodge-Manager und Guide sammelte. Seine dünnen, bleichen Beine endeten in übergrossen Safari-Schuhen, sodass sein Körper den Eindruck wie derjenige eines jungen Hundes machte, dessen Füsse proportional viel zu gross zum übrigen Körper erscheinen.
Seine khakifarbenen Shorts waren am Gesäss eingerissen, weshalb sich Kate die Bemerkung nicht verkneifen konnte, dass er sich neue Shorts anschaffen solle. „Typisch junge Männer,“ flüsterte sie mir zu. Eduard war auf der Isle of Man geboren und anschliessend in Simbabwe aufgewachsen. Ich hatte mir wegen seiner schneeweissen Haut bereits gedacht, dass er Engländer war.
Nach holpriger Fahrt auf ausgewaschenen Strassen erreichten wir die Lodge. Sie lag nur wenige hundert Meter vom Olifants River an einem ausgetrockneten Seitenarm des Flusses.
Fünf Gästehäuser, ein Hauptgebäude mit Küche und das Managerhaus reihten sich entlang des Ufers. Sie waren aus Natursteinen gebaut und mit einem Strohdach überdacht. Wir hielten jedoch noch nicht an, da Eduard uns die Schäden an den Dämmen und Strassen zeigen wollte, welche demnächst repariert werden mussten. Ein grösseres Unwetter im letzten Sommer hatte die Schäden hinterlassen. Henry bemerkte besorgt, er würde grössere Maschinen benötigen, um den Damm und die Wege wieder in Stand zu setzen. Diese mitten in den Busch zu transportieren, würde eine ausserordentliche Herausforderung darstellen.
Nachdem wir uns auf der Lodge ausgeruht hatten, brachen wir auf für eine Abendrundfahrt. Wir sahen nur wenige Wildtiere, dafür entschädigte uns ein spektakulärer Sonnenuntergang, welchen wir von einem Hügel – in Südafrika „Koppie“ genannt – genossen. Auf der Rückfahrt überraschte uns Eduard mit einem Busch-Abendessen mit Kerzenlicht, umgeben von mehreren kleinen Feuern. Mein Herz hüpfte vor Freude als ich die romantische Scene in mich aufsog und wir uns an den gedeckten Tisch setzten. Wir genossen das liebevoll hergerichtete Essen, während sich über uns ein Sternenmeer ausbreitete. Die Tiere um uns herum erwachten, sodass wir gespannt in die Nacht lauschten. Die Luft wurde langsam kalt, aber das Feuer wärmte uns, während wir ein Glas Rotwein genossen. Als die Glut langsam erlosch kehrten wir zurück zur Lodge, wo wir uns erschöpft aber glücklich zurückzogen.
Mitten in der Nacht hörte ich, wie sich etwas draussen bewegte. Durch das grosse Fenster meines Häuschens, welches die Sicht direkt auf das ausgetrocknete Flussbett freigab, sah ich eine Herde Elefanten nur wenige Meter entfernt bedächtig vorbeischreiten. Ein glückliches Gefühl überkam mich. Das ist Afrika! Ich liess die Vorhänge offen und schaute in die schwarze Nacht bis mich der Schlaf überwältigte. Erst in den frühen Morgenstunden – ich konnte die ersten Konturen im Morgenlicht erkennen – wurde ich durch ein ungestümes Flusspferd aus meinem Schlaf gerissen. Es rannte in Richtung seiner Kollegen zum Olifants River. Ein wundervoller Start in den Morgen!
Nach dem Frühstück verliessen wir die Lodge, um an den Olifants River zu fahren. Wir hatten Glück! Ein Rudel Flusspferde und mehrere Elefanten teilten sich das Wasser neben einander. Wir setzten uns in sicherer Entfernung hin, um die grauen Giganten zu beobachten. Die Ruhe war überwältigend. Ich hätte Stunden hier sitzen können. Henry und Kate wollten mir jedoch ihre Privatvilla zeigen, welche auf einer Anhöhe über der Lodge lag. Alleine dieses Haus konnte weitere zwölf Personen beherbergen, wobei jedes Zimmer über ein eigenes Bad verfügte. Kate bedauerte, dass die Villa nur sehr selten genutzt werde, meist nur für Familienzusammenkünfte über Weihnachten. Was für ein Juwel mitten im Busch!
Die zwei Tage im Kruger gingen viel zu schnell vorbei. Wir flogen zurück mit der Cessna und ich dankte Kate und Henry für das ausserordentliche Erlebnis, welches sie mir ermöglicht hatten. „Es würde für Deborah eine wunderbare Chance sein, das Marketing für deine Lodge zu übernehmen,“ sagte ich mit voller Überzeugung, nachdem ich ihm unseren Entwurf für den Marketingplan erklärt hatte. Henry war bereit Deborah die Chance zu eröffnen, obwohl er sie noch nicht persönlich getroffen hatte. „Sie kann anfangen, sobald sie möchte,“ fügte er an. Mission erfüllt! dachte ich glücklich.
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