Das kann doch nicht wahr sein. Ich stand in einer langen Warteschlange vor dem Postamt, die bis auf die Strasse reichte, um eine „Traffic Register Number“ zu erhalten. Diese brauchte ich als Ausländerin, um ein eigenes Auto in Südafrika fahren zu dürfen. Mein Beagle, Vlou, stand mit mir Schlange, da es im Auto zu heiss werden würde. Zum Glück war er geduldig. Er sass in einer Ecke und döste; die Menschen um ihn herum interessierten ihn kaum. Einmal machte er ein verschlafenes Auge auf und sah mich nicht sofort, da ich in der Reihe nachgerückt war. Er sass auf und schaute etwas verwirrt um sich. Ein kurzer Zuruf genügte, um ihn zu beruhigen. Die Erfahrung, für etwas, was man unbedingt braucht, so lange anstehen zu müssen, war eigentlich interessant, so seltsam dies klingen mag. Denn die Menschen waren äusserst diszipliniert und blieben trotz der Wartezeit und Hitze freundlich. Wenn neue Leute eintrafen, wurde ihnen von anderen Wartenden beim Aussuchen und ausfüllen der Formulare geholfen. Schwarze und weisse Südafrikaner und Coloureds wie die Mischlinge hier genannt werden, bunt gemischt. Tatsächlich eine Regenbogennation!
Ich hatte vor einem Tag endlich ein passendes Auto für mich gefunden, einen Land Rover Freelander Td4. Der Verkäufer hatte mich hinsichtlich der notwendigen Dokumente beraten, die ich vor Übergabe des Fahrzeugs auf der Poststelle beschaffen musste. Allerdings stellte sich heraus, dass er sich nicht genügend auskannte. Nach vierstündiger Wartezeit vor dem Schalter bemerkte die Beamtin völlig unberührt: „Als Ausländerin brauchen Sie neben der Identitätspapiere und Fotos eine Wohnsitzbescheinigung. Sie hätten sich besser informieren müssen, bevor sie sich hier melden.“ Weder im Internet noch auf den Formularen auf der Poststelle war dies vermerkt gewesen. Aber was konnte ich tun? „Sie müssen eine Strom- oder Telefonfestnetzrechnung an Sie adressiert einreichen oder ihren Wohnsitz durch die Polizei bestätigen lassen,“ fügte sie hinzu. Wow! Das war ein Rückschlag! Wie sollte ich als Nomadin in Südafrika eine Wohnsitzbescheinigung vorlegen können?
Grübelnd fuhr ich nach Sea View in meine Unterkunft. Mary, meine Gastgeberin, sah sofort, dass ich bedrückt war. Ich erzählte ihr von meinen Sorgen. Ich wollte ja nichts auf Dauer mieten, sondern zuerst mal das Land bereisen! Sie hatte wenig Zeit, da sie unterwegs zu ihren Enkelkindern war. „Mach dir keine Sorgen. Wir werden eine Lösung finden,“ beruhigte sie mich. Am nächsten Tag brachte sie eine Wohnsitzbescheinigung für mich vorbei. Carl, ihr Mann, hatte sie vorbereitet und war bereits beim lokalen Polizeibüro vorbeigegangen, um sie abstempeln zu lassen. Das, obwohl ich sie erst wenige Wochen kannte und bald weiterziehen würde. Was für wunderbare Leute!
Nun musste ich nur noch eine Kopie des Passes und meines Internationalen Führerscheins von der Polizei beglaubigen lassen. Sea View ist ein kleiner Ort mit wenigen hundert Einwohnern. Trotzdem hat es eine eigene Polizeistation. Ein Auto stand auf dem Innenhof, doch das Gatter war geschlossen. Unerledigter Dinge fuhr ich zurück. „Carl, wann ist die Polizeistation denn offen?“ Er grinste und erwiderte: „Wenn das Auto da ist, ist sie offen, wenn nicht, ist sie geschlossen. Die Einheimischen wissen dies, obwohl das Tor immer geschlossen bleibt. Dieses lässt sich jedoch mit einem Trick öffnen.“ Er erklärte mir den Trick, während ich ihm aufmerksam zuhörte. „Ich wundere mich, wie sich jemand an die Polizei wenden kann, der diese Information nicht erhält und vielleicht sogar in Eile ist. Es hat nämlich weder eine Glocke noch ein Schild mit Telefonnummern oder Öffnungszeiten am Eingang,“ bemerkte ich. „Die Arbeitsmoral ist wohl nicht sehr gross bei der Polizei. Auf diese Weise gelangen weniger Leute auf die Polizeistation,“ erwiderte Carl nachdenklich. Nun ja, so ging ich denn nochmals vorbei. Es gelang mir das Schiebetor zu öffnen. Im Büro sass ein überraschter, jedoch ansonsten zuvorkommender Polizist. Er stempelte sämtliche Dokumente ohne sie genau anzusehen und erzählte mir während dessen unaufgefordert seine Familiengeschichte. Seine Vorfahren waren von Indien nach Durban in Südafrika eingewandert. Er sei dort aufgewachsen. Er würde gerne nach Durban zurückgehen, aber er sei hierhin versetzt worden. Sein Mitteilungsbedürfnis war kaum zu stoppen. Artig hörte ich ihm zu, während ich meine Dokumente unter seiner Hand fixierte. Schieb sie mir endlich zu! dachte ich ungeduldig.
Am folgenden Tag brach ich früh morgens um sieben Uhr auf, um die erste in der Schlange des Postamts zu sein. Frau lernt! dachte ich mürrisch. Carl hatte mir eine andere Poststelle empfohlen und den Weg dorthin beschrieben. Nicht alle Poststellen bieten Fahrzeugregistrierungen an. Diesmal musste ich nur zehn Minuten warten. Der Schalterbeamte war freundlich und meine Papiere waren vollständig. „Endlich!“ seufzte ich erleichtert. Auf dem Weg zum Fahrzeughändler bemerkte ich mehrere Occasion – Wohnwagen entlang der Strasse. Die sind ja günstig! bemerkte ich überrascht. Spontan bog ich in die Einfahrt, um mir einige Exemplare anzusehen. Das ist die Idee! Ich werde einen Wohnwagen als zukünftiges Zuhause für mich und Vlou kaufen. Somit brauche ich nicht mehr ständig alles aus dem Auto ein und auszupacken und nehme einfach unser Haus mit, wo immer der Weg uns hinführt! Die Entscheidung war genommen. Ich wandte mich an den Wohnwagenhändler, um verschiedene Modelle anzusehen. Er führte mich eher uninteressiert herum, als ob ich die hundertste Person des Tages war, die „nur schauen“ wollte. Vielleicht nahm er auch nicht an, dass eine Frau über einen Kauf alleine entscheiden könnte, da in Südafrika immer noch weitgehend eine patriarchalische Gesellschaft herrscht. Als ich ihm bereits nach einer halben Stunde sagte: „Ich nehme diesen Wohnwagen!“, war er völlig verblüfft. Er hatte wohl noch nie einen so schnellen Entscheid erlebt. Der Wohnwagen war ein Gypsy Regal mit Platz für maximal vier Personen, einer geräumigen Küche, Bettinsel und Essecke. Es war genügend Raum für alle meine Sachen und natürlich für meinen Hund, Vlou, vorhanden.
Bei der Erledigung der Formalitäten war der Wohnwagenhändler sehr erfreut als ich ihm sämtliche für den Kauf notwendige Papiere unaufgefordert vorlegte. „So gut vorbereitet war bisher niemand!“ sagte er erfreut und musterte mich mit wachsender Anerkennung. Ich grinste verlegen. Er konnte ja nicht wissen, dass ich aus meiner Erfahrung auf dem Postamt gelernt hatte und vorsorglich auf der Polizeistation gleich mehrere Kopien von meinen Ausweisen und der Wohnsitzbescheinung hatte beglaubigen lassen – just in Case!